Ich will mein Leben zurück! Oder Vielleicht DOCH LIEBER EIN ANDERES?

Mir geht es ausgesprochen gut

Wir Frauen neigen häufig dazu, uns über alles Mögliche Gedanken zu machen. Und oft geraten wir über die Dinge, die uns beschäftigen, ins Grübeln: „Warum hat mich meine Freundin nicht zum Geburtstag eingeladen?“ „Warum habe ich das neue Projekt nicht bekommen?“ Warum, warum, warum… Häufig denken wir stunden- oder sogar tagelang nach, ohne wirklich zu einer Lösung zu kommen. Das kann sehr belastend sein. Leider gehöre ich auch zur Fraktion der Grüblerinnen. Über Themen, die mich sehr belasten, denke ich auch gerne mal nachts nach. (Dabei brauchen wir Um-die-50-Jährigen doch dringend unseren Schönheitsschlaf!). Aber ich hab auch die Erfahrung gemacht, dass mit zunehmendem Alter vieles besser wird und wir es tatsächlich schaffen können, weniger zu grübeln und mehr zu lösen.

Ich hatte mal eine launische Kollegin. Eine sehr launische Kollegin. Sie war jung, hübsch und SEHR ehrgeizig. (Jung und hübsch war ich auch, aber dafür nicht so ehrgeizig.) Leider kann man sich seine Kollegen bei der Arbeit nicht aussuchen. Die Zusammenarbeit mit dieser Kollegin bedeutete für mich eine permanente seelisch Achterbahnfahrt. Denn ihre Stimmung konnte sich von einem Moment zum anderen ohne ersichtlichen Grund ins Gegenteil umkehren. Gerade war sie noch super gut gelaunt und zuckerfreundlich zu mir, und plötzlich machte sie ein Sieben-Tage-Regenwetter-Gesicht und gab mir nur noch einsilbige oder sogar pampige Antworten.

Das Schlimme daran waren nicht unbedingt diese plötzlichen Stimmungswechsel. Daran gewöhnt man sich mit der Zeit. Viel schlimmer war eigentlich, dass sie mit mir nicht darüber redete. Selbst auf meine Nachfrage hin behauptete sie hartnäckig, dass alles in Ordnung sei. In so einem Fall neige ich dazu, die schlechte Stimmung ganz automatisch auf mich zu beziehen. Habe ich etwas falsch gemacht? Habe ich etwas Falsches gesagt? Ist sie sauer auf mich? Ob ich wollte oder nicht, mich belastete das Verhalten meiner Kollegin sehr.

Wenn ich mit meiner Freundin darüber redete, sagte sie mir, ich solle mir keine Gedanken machen. „Das Schweigen hat sicher nichts mit dir oder mit dem, was du getan oder nicht getan hast, zu tun. Sicherlich geht es deiner Kollegin gerade nicht gut oder sie kommt mit sich selbst nicht zurecht. Oder es ist einfach eine Kombination aus beidem. Das entschuldigt nicht, dass sie sich total scheiße verhält. Aber es hat auf jeden Fall NICHTS MIT DIR ZU TUN!“ versicherte sie mir jedes Mal eindringlich. Da ich ihr bereits unzählige Male mein Leid geklagt hatte und sie alle Geschichten über jene besagte Kollegin kannte, fügte sie meist noch ein „Die blöde Ziege kann sich wahrscheinlich einfach selbst nicht leiden.“ hinzu. Wohl dem, der solche Freundinnen hat!

Diese emotionale Unterstützung half mir sehr. Aber es löste nicht das Problem. Mich beschäftigte das Verhalten meiner Kollegin immer genau so lange, bis sie dann plötzlich morgens wieder gut gelaunt ins Büro kam und wieder mit mir redete. Dann fiel quasi alles von mir ab, und es ging mir wieder gut. Allerdings ist das so eine Sache, wenn man ein Problem nicht löst, sondern nur verdrängt: Man kriegt es nicht los. Und so genoss ich es zwar sehr, wenn meine Kollegin wieder „normal“ war, wartete aber innerlich nur darauf, dass die Stimmung wieder kippte.

Und dann kam der EINE Tag. Ich kam morgens ins Büro und sah schon von der Tür aus, dass die Stimmung schlecht war. Meine Kollegin saß in eine dunkle Wolke eingehüllt vor ihrem PC. Auf mein freundliches „Guten Morgen“ reagierte sie mit einem nicht identifizierbarem Gemurmel und schaute nicht einmal von ihrer Arbeit auf. Da platzte mir der Kragen. Ich merkte, dass ich richtig wütend darüber wurde, wie sie mich immer wieder ohne ersichtlichen Grund ignorierte und einfach unhöflich und unfreundlich zu mir war und gleichzeitig so tat, als wäre alles in Ordnung. NICHTS war in Ordnung!

„Was ist los mit dir?“ fragte ich ziemlich pampig noch von der Tür aus. „Nix!“ kam wie gewohnt nicht weniger pampig von der anderen Seite des Büros zurück. Normalerweise wäre an dieser Stelle der Dialog beendet gewesen. Wobei es eigentlich maßlos übertrieben ist, hier von einem Dialog zu reden. Normalerweise hätte ich mich an diesem Punkt des Gesprächs zurückgezogen und mein ganz persönliches Gedankenkarussel in Gang gesetzt. Aber dieses Mal wollte ich mich nicht so abspeisen lassen. Ich wollte ihr Verhalten, das sich so negativ auf meinen Gemütszustand auswirkte, einfach nicht mehr so hinnehmen.

Also ließ ich nicht locker: „Ich sehe doch, dass das nicht stimmt.“ Das war wohl der falsche Einstieg, und mein Gegenüber konterte mit einem pampigen „Willst du damit sagen, dass ich lüge?“ Die erste Runde ging eindeutig an sie. Aber ich ließ mich nicht einschüchtern. „Weißt du, es ist mir schon öfter aufgefallen, dass du ganz plötzlich, aus heiterem Himmel, unfreundlich zu mir bist und von einer Minute auf die andere nicht mehr mit mir redest. Ich finde das sehr unangenehm und möchte einfach wissen, warum du das tust.“

Das saß. Meine Kollegin schaute mich mit großen Augen an: „Aber das hat doch nichts mit dir zu tun!“ rief sie entsetzt. „Oh, doch!“, gab ich entschieden zurück. „Ich muss in diesem Projekt mit dir zusammen arbeiten und sitze den ganzen Tag mit dir im Büro. Und eigentlich hab ich den Eindruck, dass die Zusammenarbeit ganz gut klappt. Aber wenn du dann ganz plötzlich von einem Moment zum anderen nicht mehr mit mir redest und total unfreundlich zu mir bist, dann belastet mich das einfach.“

Ich wunderte mich, wie ich es geschafft habe, diese Worte so sachlich hervorzubringen. Und gleichzeitig hoffte ich, dass man mir meine Nervosität nicht allzu sehr anmerken würde. Aber nun konnte ich beobachten, wie sich im Gesicht meines Gegenübers etwas veränderte. Die emotionale Reise ging von erstaunt über entsetzt bis zu nachdenklich. Nach einer Pause, in der wir uns nur schweigend ansahen, schüttelte sie nachdenklich ihren Kopf und sah mir dann direkt in die Augen. „Eva, es tut mir wirklich leid.“

Was war das denn? Ich hatte alles erwartet. Ich hatte sogar befürchtet, dass wir nach meinen offenen Worten so zerstritten sein würden, dass wir gar nicht mehr zusammenarbeiten könnten. Aber mit einer Entschuldigung hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Meine Kollegin sah mir mein Erstaunen wohl an, und jetzt bemühte sie sich nach all den Monaten unserer schwierigen Zusammenarbeit doch noch, mir ihre Launen zu erklären.

„Es hat wirklich nichts mit dir zu tun, wenn ich manchmal so schlecht drauf bin. Aber ich leide schon länger unter Migräne. Und wenn so ein Anfall kommt, versuche ich, die Zähne zusammen zu beißen und mir nichts anmerken zu lassen.  Es tut mir wirklich total leid.“ Was für eine einfache und fast schon banale Erklärung für all die Grübeleien der vergangenen Monate! Wie viele unnötige schwere Gedanken hätten sich vermeiden lassen, wenn ich schon früher den Mut gehabt hätte, diesen Dialog zu führen! Mir war es auf jeden Fall eine Lehre.

Wir Um-die-50-Jährigen sind nicht mehr dazu bereit, alles einfach so hinzunehmen. Hinnehmen und darunter leiden ist für uns keine Option mehr. Unsere Zeit ist knapp, und wir haben einfach Besseres zu tun. Heute gibt es für mich eigentlich nur noch zwei Optionen: Entweder ich akzeptiere etwas, das mich stört, so wie es ist und finde mich damit ab, oder ich spreche es aktiv an und versuche, es zu ändern. Und das funktioniert überraschend gut. Meistens lässt sich ein Problem ganz schnell aus dem Weg schaffen, wenn man einfach darüber redet. Das gelingt natürlich nicht immer. Manche Gesprächspartner sind leider überhaupt nicht konstruktiv und wollen sich nicht einmal auf eine richtigen Austausch einlassen. In solchen Fällen wird sich natürlich nichts verändern, nur weil man es angesprochen hat.

Aber es hilft mir trotzdem. Denn in einem derart ausweglosen Fall weiß ich dann wenigstens, dass ich nichts verändern kann. Dann ist es Zeit anzuerkennen, dass eine Beziehung aussichtslos ist und man muss loslassen. Auch loslassen gelingt uns mit zunehmendem Alter immer besser. Loslassen bedeutet nicht, gleichgültig zu sein. Loslassen bedeutet, Dinge so anzunehmen, wie sie sind. Wenn wir es schaffen, Belastendes – auch Beziehungen – loszulassen, werden wir mit reichlich Seelenfrieden belohnt. Plötzlich können wir Probleme auch einfach mal stehen lassen und die Verantwortung für diese abgeben – an wen auch immer.

Die Zusammenarbeit mit meiner Kollegin funktionierte nach dieser Aussprache auf jeden Fall ausgesprochen gut. Das heißt nicht, dass sie nicht mehr ihre Launen hatte. Und das heißt auch nicht, dass wir Freundinnen geworden sind. (Es reicht, eine launische Kollegin zu haben, eine launische Freundin braucht nun wirklich kein Mensch!). Aber die Zusammenarbeit ist wesentlich einfacher geworden. Zum einen belasteten mich ihre Schlechte-Laune-Anfälle nicht mehr, zum anderen war sie jedes Mal sehr um eine Erklärung bemüht, wenn es ihr nicht so gut ging.

Und wenn man sich das „Aussprechen“ von Unangenehmen erst einmal angewöhnt hat und erfahren hat, wie sich auf diese Weise viele Probleme ganz einfach in Luft auflösen, macht man es auch immer wieder. Und was soll ich sagen? Mir geht es im wahrsten Sinne des Wortes „ausgesprochen“ gut damit!

Eva Ehehalt

Eva ist Ernährungsberaterin, Autorin und Bloggerin. Auf Ihrer Seite findet Ihr viele tolle Tipps und Rezepte:
www.leckervital.com

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