Perfektionismus – ein Frauenthema?

Schade, dass ich Sie, liebe Leserinnen, nicht sehen kann, wenn Sie diese Überschrift lesen. Ich würde gern Ihr Gesicht sehen und vielleicht sogar ein bisschen in Ihren Kopf gucken wollen, denn ich bin gespannt, was Sie dazu denken, ob Sie sich angesprochen fühlen oder vielleicht sogar ertappt? Ist das auch Ihr Thema? Möchten Sie auch gern etwas lockerer sein, es nicht immer so perfekt machen müssen? Ich denke tatsächlich, dass das ein Frauenthema ist, dass Männer sich darüber nicht so viel Gedanken machen, ob etwas nun noch ein bisschen besser hätte sein können.

Doch woher kommt unser Hang zum Perfektionismus und wie können wir ihn wieder loslassen?

Was genau meint Perfektionismus und woher kommt er?

Erklärt oder definiert wird Perfektionismus als übertriebenes Streben nach Vollkommenheit sowie das unbedingte Vermeiden von Fehlern.

Ein gewisses Maß im Streben nach Vollkommenheit wird als positiv empfunden und gewertet, das unbedingte Vermeiden von Fehlern hingegen häufig als negativ. Letzteres kann das Leben des Betroffenen stark einschränken, da es unglaublich anstrengend und schwierig im Alltag ist. Trotzdem kann derjenige es nicht einfach mal so abstellen.

Um die Beeinträchtigung durch den Hang zum Perfektionismus zu messen, führen (meist Psychologen) einen Test durch, bei dem der Betroffene/die Betroffene Aussagen bewertet.

Hier ein paar Beispiele:

  • Nur hervorragende Leistungen sind in meiner Familie gut genug.
  • Je weniger Fehler ich mache, umso mehr werden Menschen mich mögen.
  • Es ist wichtig für mich, in allem was ich tue, vollkommen kompetent zu sein.

Die individuelle Gültigkeit wird mittels einer Skala (1 = trifft überhaupt nicht zu bis 5 = trifft genau zu) eingeordnet.

Perfektionismus wird dann ungesund, wenn wir meinen, von dieser äußeren Meinung abhängig zu sein und alles tun, um die Ansprüche zu erfüllen. Ein geringes Selbstwertgefühl und eine starke emotionale Labilität sind oft die Folge. Die Ursachen für das Streben nach Perfektion kann einerseits auf die Erziehung in der Familie zurückzuführen sein, andererseits auf kulturelle Einflussfaktoren. Letztere haben in den letzten Jahren in der westlichen Welt enorm an Bedeutung gewonnen. Mit auf Makellosigkeit polierten Bildern auf Facebook, Instagram und Co wird Perfektion inszeniert und gerade bei Mädchen und jungen Frauen werden Maßstäbe manifestiert.

Ab Mitte 40 befinden wir uns oft in folgendem Perfektionismus-Spagat:

  • Wir möchten nach wie vor so attraktiv sein wie mit Ende 20.
  • Wir sind eine kümmernde Mutter, mit einem stets offenen Ohr für die Probleme der Kinder.
  • Wir sind die sexy Ehefrau, die dem Mann den Rücken freihält.
  • Wir sind eine Karrierefrau und beruflich sehr erfolgreich.
  • Wir sind die liebevolle Tochter, die sich aufopferungsvoll um ihre älterwerdenden Eltern kümmert.

All diesen Anforderungen – möglichst perfekt und fehlerfrei – wollen wir nachkommen. Allein beim Auflisten spüre ich den Druck, der da auf vielen von uns lastet. Der Druck ist manchmal hausgemacht und manchmal von außen (Freundinnen, Familie etc.) auf uns projiziert worden.

Was gibt’s für Wege aus der Perfektionismus-Falle?

Im ersten Schritt ist es gut, sich selbst zu reflektieren. Genau zu schauen, inwieweit der Anspruch alles perfekt und fehlerfrei zu machen auf Sie zutrifft und wie stark Sie das im Alltag einschränkt. Seien Sie gnädig zu sich und überlegen Sie, wo es höchste Zeit ist loszulassen, wo auch 80 % statt der (gewohnten) 120 % reichen. Es hilft mit einem Bereich anzufangen, Sie müssen nicht gleich Ihr ganzes Leben umkrempeln.

Eine Idee wäre zu überlegen, wo Sie sich Unterstützung (im Alltag) holen können? Wenn es finanziell möglich ist, kann eine Reinigungskraft oder ein Fensterputzer Sie beim ungeliebten Putzen entlasten? Sind die Kinder alt genug, um vom Sport allein oder mit Freunden nach Hause zu fahren oder müssen Sie immer noch von Ihnen abgeholt werden. Das schafft Ihnen Freiräume.

Der zweite Schritt ist der vielleicht schwierigere: Liebevoll und achtsam mit sich selbst zu sein! Jetzt die gute Nachricht: Achtsamkeit kann man trainieren! Regelmäßige Meditationspraxis ist ein Weg, um achtsamer im Alltag zu sein. Aber auch da gleich mein Hinweis: Keiner meditiert perfekt!  Fangen Sie lieber klein (d. h. mit 2 – 5 Minuten) an, dafür besser täglich, als gleich mit einer halben Stunde zu beginnen und das aber nur zweimal durchzuhalten. Achtsamkeitstraining hilft uns im Alltag gelassener zu sein, dadurch, dass wir mit unserer Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt sind (und nicht schon fünf Schritte weiter planen).

Parallel dazu kann es hilfreich sein, sich zu überlegen, was Sie mit der gesparten Zeit, also der Zeit, die Sie sonst aufwenden, um etwas richtig perfekt zu machen, anfangen könnten. Was wollten Sie schon immer mal machen, aber es fehlte die Zeit dazu? Das sind doch wunderbare Aussichten.

Zum Schluss noch eine persönliche Anmerkung: Auch ich hatte Phasen im Leben, in denen der Perfektionismus mich fest in seinen Fängen hatte. Als ich in dieser Zeit einer guten Freundin von einem perfekt geplanten Projekt erzählte, antwortete sie mir ganz trocken: „Du weißt schon: When too perfect, lieber Gott böse!“. Ich musste herzlich lachen und immer wieder, wenn der Perfektionismus versucht, die Oberhand zu gewinnen, denke ich an diesen Spruch.

Ich bin gespannt, von Ihren Erfahrungen, Tipps und Tricks zu hören.

Stefanie Möller-Peske

Frau Möller-Peske ist Heilpraktikerin in Hamburg-Eimsbüttel und hat unter anderem den Schwerpunkt Wechseljahre.
moeller-peske.com

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