Von Diven und Neurosenkavalieren

Wechselweib Heike war schon mit 20 eher hübsch als schön, eher Kumpel als Göttin. Warum das ein Geschenk ist, hat sie aber erst mit über Vierzig verstanden

Am Anfang war der Koffer: „Du-hu, Ja-han? Könntest du mir den bitte die steile Treppe hochschleppen?“ Später kam die Nummer mit dem Einkaufen: „Stefan, bist du ein Scha-hatz und übernimmst das, ich muss mich mal eine Runde hinlegen!“ Abends ging es weiter mit dem Singsang: „Thom-my, wo du gerade stehst, bringst du noch eine Flasche Pinot Grigio mit?“ Der Ferienhaus-Urlaub unserer Clique war noch keinen halben Tag alt, da hatte es Angelika schon geschafft, als einzige Single-Frau sämtliche Männer für ihre Dienste einzuspannen.

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer war die Schönste im ganzen Land?
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer war die Schönste im ganzen Land?

Die Männer taten ihr den Gefallen, schließlich waren sie gut erzogen. Aber ihr Blick dabei sprach Bände. Als Angelika irgendwann doch einmal selbst aufstand – den Gang zur Toilette konnte ihr nun beim besten Willen keiner abnehmen -, machte sich ein böser Gedanke Luft. „Was glaubt die Alte eigentlich, wer sie ist?“, zischte ich meiner Freundin Ulrike zu. Ulrike sah mich unergründlich an. „Angelika tut mit Leid“, sagte sie schließlich, „du weißt doch, sie war früher mal sehr schön.“

Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was sie damit meinte. Aber als der Groschen endlich gefallen war, war ich mit einem Schlag sehr, sehr dankbar. „Sie war mal sehr schön“ – über mich würde diesen Satz keiner sagen. Zwar hatte ich nie wirklich Grund, mit meinem Aussehen zu hadern. Außer vielleicht mit 15, wenn man sich selbst gnadenloser im Spiegel anschaut als der Vogue-Fotochef ein hoffnungsvolles Nachwuchsmodel. Aber ich war auch nie eine von den Frauen, die Männerblicke so verlässlich anziehen wie ein Kühlschrank bunte Magneten. Nicht mit 17, nicht mit 27, nicht mit 37.

Und gerade weil ich das nie gewesen war, musste ich jetzt auch nicht schmerzlich erleben, wie es war, wenn die Bewunderung weniger wurde. Wie es war, wenn man auf die gewohnten Knöpfe drückte, und es passierte – nichts. Vielleicht noch schlimmer: Es passierte zwar etwas, aber widerwillig und aus reiner Höflichkeit. Oder, wenn der Ton allzu flirtig wurde, blickte das Gegenüber irritiert zurück. Es stimmte: Angelika, jetzt kurz vor dem fünfzigsten Geburtstag, war früher eines von diesen Geschöpfen gewesen, dem Kerle auf ein Fingerschnippen hin die Welt zu Füßen legten. Vielleicht in der Hoffnung auf Gegenleistung. Oft genug auch nur, weil sie sich geschmeichelt fühlten, von ihr auserwählt zu sein, zum Ritter auf Abruf, zum Kavalier in Teilzeit. Ich dagegen hatte häufig meine Kleiderschränke allein zusammengebaut oder führerscheinlose Freunde irgendwo hingefahren. Und auch in Bewerbungsgesprächen hatte ich keine Vorschusslorbeeren gesammelt nur wegen meines vorbildlichen Taillenumfangs oder Wallehaar wie aus der Shampoowerbung. Denn, ungerecht aber wahr: Immer wieder belegen wissenschaftliche Studien einen Zusammenhang zwischen Attraktivität und Erfolg, in der Liebe wie im Job.

Nun, mit Mitte vierzig, erfuhr ich doch noch ausgleichende Gerechtigkeit. Stellvertretend übrigens für die Mehrheit aller Frauen. Frauen, die früher nicht schön waren, aber heute immer noch hübsch, bei denen die Fallhöhe nicht so dramatisch ist, wenn sie älter werden. Weil sie schon viel früher im Leben gelernt haben, dass nicht immer ein Helfer bereit steht, und weil sie schon immer eher mit Schlagfertigkeit und Witz als mit großen blauen Augen punkten. Frauen, deren Charme oft erst dann so richtig zum Strahlen kommt, wenn auch die ehemaligen Beauty-Queens aus der Nachbarschaft, dem Pro-Seminar oder dem Kolleginnenteam optisch auf Normalmaß zusammenschnurren.

Damit es keine Missverständnisse gibt: Natürlich freuen sich alle Frauen über männliche Hilfsbereitschaft, und zwar egal ob mit 25 oder 65, egal ob klein und dick oder groß und durchtrainiert. Nur dieses selbstverständliche Fingerschnipsen funktioniert in einem gewissen Alter bei keiner mehr so recht. Auch nicht die ständige Bestätigung durch bewundernde oder begehrliche Blicke. Wiederum: Haben wir das nötig? Sind wir nicht selbst erwachsen?

Ulrike und ich haben am nächsten Tag einen langen Spaziergang mit Angelika gemacht. Wir haben nicht über Schönheit geredet. Auch nicht über Hyaluronsäure-Cremes oder die Frage, ob Tapetenmuster-Hosen zu Ü40-Frauen passen. Wir haben über Reisen geredet und Frauenfreundschaften, über ein Buch, das wir gelesen hatten und über Sinn und Unsinn von Mietpreisbremsen. Angelika wirkte verblüfft, dass wir uns für ihre Meinung interessierten. Was sie sagte, war differenziert und intelligent.

Am Ende dachte ich: Vielleicht ist es eine Chance für uns alle, wenn das Älterwerden unsere offensichtlichen Unterschiede abmildert. Weil es auch die ewige Konkurrenz unter Frauen zurückfährt. Und umgekehrt: Vielleicht ist Divenhaftigkeit, zumindest eine kleine Prise davon, auch gar nicht das schlechteste. Ein kleines Scheibchen könnten auch wir Kumpeltypen uns von Angelika abschneiden. Aber das dachte ich erst später am Abend, als unsere Männer reihum ganz freiwillig aufsprangen, um unsere Weingläser nachzufüllen. Und nicht etwa nur Angelikas.

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