Der Schwiegermutterbesuch

Es gibt sie noch, die Schwiegermutter, die einen dazu bringt, bevor sie kommt, noch mal schnell die Fenster zu putzen, Staub zu wischen, Blumen auf den Tisch, großartig kochen und einen originalen Frankfurter Kranz unter einen Hut zu kriegen. Trotz Job. Trotz Kinder. Trotz Emanzipation.

Extra für die Schwiegermutter: lecker Kuchen selbstgemacht
Extra für die Schwiegermutter: lecker Kuchen selbstgemacht

Früher hat sie mir noch beim Bügeln geholfen, konnte Kartoffeln wenigstens schälen und mit den Kindern Memory spielen. Heute kann sie gar nix mehr. Außer sitzen und sämtliche Gruselgeschichten über die Royals zitieren. Und essen. Und mir von ihrer ersten Begegnung mit ihrem Ehemann, meinem Schwiegervater, erzählen. Hundert mal hab ich mir schon angehört, wie sie damals ihr Puder vergessen hatte und er ihre Sommersprossen als halb so wild abgetan hat. So einer war das. Toll, Emmi, hast du ein Glück.

Ich kontrolliere ihre Tabletteneinnahme – 15 Stück am Tag, koche jeden Tag dreigängige Menüs, nehme zwei Kilo zu, nur weil meine Schwiegermutter es liebt, am Nachmittag ein Stück Kuchen zu essen. Ich kann sie doch schlecht allein essen lassen. Ich nehme die Kinder in Schutz, die – zwar groß – abends um 20 Uhr noch wach sind, das hat es früher nicht gegeben. Ich bringe ihr morgens um 7 Uhr Frühstück ans Bett, weil sie erst etwas essen muss, bevor sie die erste Ladung Chemie einwirft, ohne die sie längst hin wäre (ihre Worte). Ich lese ihre Krankenberichte, studiere die Beipackzettel, recherchiere, beobachte, gehe arbeiten und koche, kaufe ein und backe Kuchen, rede inzwischen mit, wenn Prinz Andrew im Fernsehen zu sehen ist, und putze das Klo zum hundertsten Mal in einer Woche, weil ihre Verdauung nicht die beste ist.

Am Abend kommt der Gatte heim, natürlich müde, küsst seine Mutter, isst erst einmal die Reste meiner Ganztagsbeschäftigung auf, sieht sich die Nachrichten an, schickt die Söhne in ihre Zimmer, fragt, ob seine Mutter schon die Tabletten genommen hat und dann, wenn ihm nichts mehr einfällt, was er kontrollieren könnte, flüstert er mir ins Ohr, dass er froh ist, dass ich zuhause bin. Ich sage, ich bin nicht zuhause, ich habe auch drei Tage in der Woche zu arbeiten, aber das ist ja nur ein Witz, ein wirklich guter sogar, denn ich könnte mir das ja einteilen. Zum tausendsten Mal wird das Thema „wer arbeitet mehr“ diskutiert, und die Schwiegermutter sitzt derweilen vorm Fernseher und guckt „In aller Freundschaft“. Mit einem Becher Joghurt in der Hand. Ich nehme ihr diesen weg, etwas grob vielleicht, weil es gerade nicht der Moment für Eideidei ist, sie sieht mich erschrocken an, und der Gatte schüttelt empört den Kopf, weil ich seine Mutter behandle wie einen lästigen Köter, und sagt das auch noch. Und weil die Oma ganz verdattert schaut, sage ich, sorry, Emmi, aber dein Sohn und ich sind nur ein ganz normales Ehepaar, das auch mal etwas lauter wird, sie sagt, das ist aber nicht schön, man muss auch mal für den anderen da sein in einer Ehe. Bei ihr war das natürlich immer der Fall.

Gleich platzt mir der Kragen, ich schlucke den Ärger hinunter, sage mir, sie ist ja auch nur eine alte Frau, dann wird mir bewusst, dass sie noch 2 Wochen bleibt und ich mit ihr gut auskommen muss. Der Gatte hat inzwischen bemerkt, dass er nicht ganz fair war und verschwindet mit eingezogenem Schwanz in seinem Zimmer, weil er „heute für nichts mehr garantieren“ kann. Zur Sicherheit. Bevor er … was? Ich ruf ihm hinterher, er soll sich ruhig verkrümeln, ist ja nicht seine Mutter, die hier zu Besuch ist. Ich sage zu Emmi, dein Sohn! Und sie sagt, lass ihn doch, er hat doch den ganzen Tag gearbeitet!

Ich hole mir noch ein Stück Kuchen, jetzt ist es auch schon egal, morgen gibt es neuen, und schon bin ich mitten in einer Traumhochzeit in Schweden!

Gestern hat sie ihr Sohn nach Hause  gebracht, und weil das weit weg ist, bleibt er für 2 Tage da. Ich wasche die Bettwäsche, räume das Gästezimmer auf, entsorge den Mülleimer (erwähnte ich schon das mit der Verdauung?), kaufe NICHT ein, backe KEINEN Kuchen und lasse den Fernseher ausgeschaltet. Und während ich gierig die aufgesammelten Zeitschriften durchblättere, sage ich mir, war doch ganz nett!

Ich wünsche mir auch eine so tolle Schwiegertochter!

Eure Gudrun

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