Po? Populär!

Mit 13 trug Wechselweib Heike Kleidergröße 38 und brach in der Umkleidekabine in Tränen aus. Mit 45 geht sie liebend gerne Hosen in Größe 42 shoppen. Was ist passiert – mit ihr und der Welt drum herum?

Wen auch immer die Frau da draußen meint, ich kann es nicht sein. So dachte ich, als ich neulich in der Umkleidekabine einer Boutique die Hosen runterließ. „Nimm die Jeans lieber eins kleiner“, hörte ich von draußen die Stimme der Verkäuferin. Auch beim zweiten Mal fühlte mich nicht angesprochen. Bis plötzlich eine apricotfarbene Röhre über die Schwingtür meiner Kabine lappte. In Größe S. Wie „Small“. „Aber normalerweise…“, wagte ich Widerspruch. „Glaub mir“, unterbrach sie mich im freundlich-autoritären Ton einer Erzieherin, die den Obstteller herumreicht, „ich weiß, was du brauchst.“

Fit and fashion jeans for every silhouette

Während ich mich halb amüsiert und halb irritiert in das Wunderteil mit den schrägen Nähten schraubte, hatte ich ein Déjà-Vu. Plötzlich war ich wieder 13 Jahre alt und stand schwitzend und unglücklich in der „Young Fashion“-Abteilung im Freiburger Kaufhaus Oberpaur, in einer Jeans, die es gerade noch über meine Oberschenkel geschafft hatte, nicht aber über meine Hüften. Jedenfalls nicht in der begehrten Größe. Nicht, dass ich jemals wirklich dick war – aber das zählte nicht. Es war schlimm genug, nicht ganz so fohlenhaft dünn zu sein wie die Mehrheit meiner Klassenkameradinnen. Vor allem in meinen eigenen Augen. Jahrzehnte, ehe sich besorgte Mütter fragten, ob ihre Töchter durch GNTM-Dauerberieselung Essstörungen entwickeln könnten, waren schon wir eine Generation mit handfesten Wahrnehmungsproblemen. Es war nur noch kein Medienthema. Eher ein Schulhofthema.

„Ich will so bleiben wie ich bin“, trällerte es Mitte der Achtziger gut gelaunt in Margarine-Werbespots, und aus dem Off tönte gleich darauf ein verheißungsvoll Gerauntes „Du darfst!“ Sicherlich war ich nicht die einzige, die damals jung und beeinflussbar war und diese strenge Stimme aus dem TV verinnerlichte. Die Stimme, die mir sagte, was ich durfte, was nicht – und was das mit meinem Körpergewicht zu tun hatte. Wenn ich nur schlank genug war, so versprach sie, dann durfte ich so einiges: mich wohl fühlen in meiner Haut, kurze Röcke mit blauen Sternchen tragen, vielleicht sogar selbstbewusst genug sein, den Jungen bei der Tanzschulenparty anzusprechen, der mir so gefiel. Zeigte die Digitalanzeige der Badezimmerwaage aber mehr an als 58 oder, Gott bewahre!, 60 Kilo an, dann folgte die Selbstbestrafung auf dem Fuße. Mit Sieben-Tage-Körnerkur aus dem Reformhaus und Tanzverbot in eigener Sache.

Wenn ich daran denke, wird mir heute noch schlecht. Nicht wegen der Erinnerung an den Geschmack ungewürzten Buchweizens, eher vor Reue: Was habe ich damals an Energie verschwendet, an Gedanken über ein völlig nichtssagendes Thema! Was habe ich mir selbst verweigert, nur, weil ich eben nicht für Nena-Style-Streifenjeans gebaut war! Wie habe ich mir jahrelang das Leben vom Munde abgespart, nur weil die Zukunft nicht eintrat, dieser Tag X, in dem ich in die blaue Satinhose in Größe 36 gepasst hätte, die ungetragen in meinem Schrank hing.

Und da stand ich nun in Hamburg, 30 Jahre später, mit einer Hose in einer absurden Größe vor einem wandhohen Spiegel, nickte der Verkäuferin zu und dachte mir: genau. Nicht mein Job, hier mit Heidi-Klum-Körper hereinzumarschieren – sondern dein Job, Klamotten zu finden, in denen mein kurzen strammen Beine und mein runder Po sich sehen lassen können. Obwohl ich seit damals ein, zwei Kleidergrößen und etwa zehn Kilo zugelegt habe. Obwohl sich zwei Speckröllchen gletscherwanderungsgleich über meine Hüftknochen schieben, die ich beim besten Willen nicht nur auf zwei meine Kinder und ihr Dehnungswerk an meinem Körper schieben kann. Denn in Zwischenzeit hat sich einiges getan. In mir und um mich herum.

Es sind nämlich gute Zeiten für kurvige Frauen. Meghan Trainor trällert uns schon das ganze Frühjahr über die Ohren voll, wie gern sie ihren Polster-Popo hat, und lässt sich im Musikvideo dazu von entsprechend ausgestatteten Frauen umtanzen. XL-Model Ashley Graham bringt im 44er-Bikini drei Kerle ins Schwitzen, das Frauenmagazin Grazia sagt artig „Danke, Kim!“ und erklärt in einer Titelgeschichte, warum Mrs. Kardashians Rückwärts-Kurven unser inneres Bild von einem attraktiven Frauenkörper auf ganz neue Weise fotoshoppen. Ich bin also in bester, ja: illustrer Gesellschaft.

Aber viel wichtiger als die gesellschaftliche Rücken-, pardon, Popo-Deckung ist, was in all den Jahren in meinem Inneren passiert ist. Ich mag meinen Körper heute lieber als 1985. Nicht, weil er objektiv schöner wäre – ist er nicht. Sondern weil ich ihn mittlerweile schätzen gelernt habe. Als erstaunlich zuverlässiges Vehikel, das mich durch Lust und Leid steuert, das Babys genährt hat und Berge bestiegen. Als Mittelklasse-Gebrauchtwagen, der es gut mit mir meint, auch wenn er erste Abnutzungsspuren zeigt, auch wenn ich ihn nicht immer nach Scheckheft gepflegt habe. Eine Normalo-Kutsche, die aber meinen kostbarsten Besitz durchs Leben kutschiert, nämlich meinen Kopf.

Die apricotfarbene Jeans habe ich tatsächlich gekauft. Auf Drängen der Verkäuferin in S. „Die sind so geschnitten“, ermutigte sie mich, „wenn du die in M nimmst, sitzt die nach der ersten Wäsche nicht mehr knackig.“ An der Kasse fragte ich dann doch noch nach dem Geheimnis der Blitz-Diät-Hose: Was tun denn wohl Frauen, die sonst Größe S tragen – so richtig in echt? „Für die gibt es XS und XXS“. Das also ist der Trick: funktioniert wie bei Kondomen, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Denn während Männer niemals eine Nummer kleiner tragen würden als „L“, fühlen sich Frauen unendlich geschmeichelt, wenn sie ihre 67 Kilo in Teenager-Größen verpacken. Ziemlich durchsichtige Sache. Gefreut hat’s mich trotzdem.

Ihre Heike

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