Klingt oft schön und befreit ungemein: Gemeinsames Singen im Chor

Let’s Party! oder: Böse Menschen haben keine Lieder

Elf Leute kommen, sagte Mareike, so ziemlich alle in unserem Alter. Ihr werdet euch sicher verstehen. Außer den beiden Gastgeberinnen, die Yoga-Freundinnen meiner Freundin Stella waren, kannten wir niemanden. Mareike hatte das Faible, bei Einladungen möglichst neue Leute zusammenzubringen. Und Stella war gespannt auf Gleichaltrige, die möglicherweise auch gleiche Probleme – Stichwort Wechsel – haben. Und ich begleitete sie selbstverständlich gerne.

Als Stella und ich mit fünf Minuten Verspätung eintrafen, waren wir nicht die ersten. Mareike und ihre Partnerin Evelin (mit i) begrüßten uns, vor uns war schon die andere Evelyn (mit Ypsilon, bitte!) gekommen, solo offensichtlich und sehr zurückhaltend.

Und da saßen wir dann, als die Runde komplett war, und kamen uns etwas verloren vor. Stella ist an sich extrem kommunikativ und netzwerkfähig, seit es ihr wieder besser geht, aber der Funke wollte nicht so recht überspringen. Wir rauchten so viel wie selten an diesem Abend, weil man dazu auf den Balkon gehen durfte. Einzig Evelyn (die mit Ypsilon) kam uns noch bedauernswerter vor, sie war neben fünf Pärchen das elfte Rad am Wagen.

Auf der Suche nach Gespräch berichtete Ypsilon-Evelyn schließlich vorsichtig euphorisch, dass sie jetzt in einem Chor singe, weil sie glaube, es tue ihr gut, aus sich heraus zu gehen. Endlich ein Thema! Auch bei uns hatte „Singen!“ seit Wochen, ja, Monaten thematisch Hochkonjunktur. Meine Liebste stieg begeistert ein, wollte mehr wissen. Ypsilon lächelte und meinte, der Chor sei noch sehr jung und frisch und anders, und deshalb nenne er sich Die Alterna:iven. Ein Wortspiel. Darum mit Doppelpunkt nach dem zweiten A. Es sei auch ein reiner Frauen-Chor, alle mehr oder weniger in ihrem Alter. In unserem Alter? Stella war begeistert und erzählte, dass sie seit einem halben Jahr in der Kantorei ihrer Pfarrei singe, dass der Auslöser für diesen Schritt der Wechsel gewesen war, dass ihr jetzt im Wechsel das Singen unheimlich gut tue, dass sie in dem Chor aber nicht sehr glücklich werde. Die neue Kantorin sei zwar sehr begabt, aber sehr jung noch, grade mal Ende Zwanzig, und wohl überfordert im Umgang mit so vielen gestandenen Menschen, die meisten Fünfzig plus. Dadurch sei sie offensichtlich unsicher und deshalb sehr autoritär, ständig zische sie „pssst!“ in die Probe, was letztlich lächerlich wirke.

Klingt oft schön und befreit ungemein: Gemeinsames Singen im Chor

Welch ein Zufall!, klinkte sich Gerhild unvermittelt ins Gespräch ein, sie singe ebenfalls seit kurzem in einem Chor, einem Gospelchor. Singen sei ein Geschenk, aber das Temperament der Sänger sei wohl eher am Nordpol zu verorten als in den Südstaaten. Außerdem mutmaße sie inzwischen, man habe den guten alten Kirchenchor, spekulierend auf eine andere Klientel, nur neumodisch benamst. Sie suche deshalb nach Alternativen. Wann denn die Alterna:iven probierten?, fragte sie EvelYpsilon, und die strahlte Am Dienstag! Was Gerhild nicht so ideal fand, weil sie auch am Dienstag probierten. Komisch, warf Stella ein, wir üben auch am Dienstag. Dienstag ist wohl der allgemeine Chor-Proben-Tag. Und da klügelten die drei Damen konspirativ einen hochkomplexen Einsatzplan aus, an welchem Dienstag welche von ihnen in jeweils welchen anderen Chor zu einer Proberunde kommen solle, damit auch die jeweils Dritte unter Schwänzen ihres eigenen Chores da sein könne. Klang höchst kompliziert. Hätte man vielleicht auch einfacher organisieren können. Dienstag, nächster Dienstag, übernächster Dienstag. Meinte Stella selbstkritisch auf dem Heimweg.

Nichtsdestotrotz. Da ist nun jede tatsächlich aktiv geworden, hat sich jede einen Chor gesucht, was organisatorisch wie vom gesanglichen Niveau her nicht ganz leicht ist, ich weiß das aus eigenen gescheiterten Versuchen, und jede wurde aufgenommen, auch das keine Selbstverständlichkeit. Sicher ein wunderbares Hobby und eine hervorragende Strategie, um depressiver Verstimmung in den Wechseljahren die Stirn zu bieten. Singen bringt mich in Kontakt mit meiner Freude, nicht zuletzt weil Unmengen beglückender Hormone fließen. Und jetzt sind sie alle unglücklich mit ihrem Chor. Ob das wirklich nur an dem Chor liegt?

Aber vielleicht kehren ja alle drei, wenn sie reihum die Schnupperrunde erst abgeschlossen haben, wieder glücklich in ihren ursprünglichen Chor zurück. Oder sie finden sich alle im selben Chor zusammen. Oder sie gründen einen neuen Kammerchor, Stella ist auf dem besten Weg dazu. Die nötige Energie scheinen die Mädels zu haben. Name: Die Unzufriedenen? Vielleicht Die Singwütigen. Oder vielleicht einfach: Heiße Kehlen.
Hauptsache sie bleiben dabei!
Stella wird mich auf dem Laufenden halten.

Und vielleicht sollte ich auch noch einmal einen Anlauf wagen, einen Chor für mich zu finden. Singen macht lebendig und lässt mich aufblühen. Vielleicht finde ich sogar den Mut, Stella dann in ihren Chor zu begleiten. Vorausgesetzt die nehmen Männer.

Denn – singe wem Gesang gegeben!

Mit heiserer Kehle
Ihr Jörg

Jörg

Jörg erzählt mit seinem eigenem Humor und viel Esprit über sein Leben mit seiner Frau Stella und den Wechseljahren.

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