Ein Schlag ins Gesicht

Der Mensch ist schlecht, also braten wir ihm eins über: eine traurige Logik mit noch traurigeren Konsequenzen, im Großen wie im Kleinen. Wechselweib Heike hat einen Erziehungsstreit im Netz verfolgt und eine Idee, wie man’s besser machen könnte.

Da hat mal wieder einer zugeschlagen. Mit Worten, aber nicht nur. Kürzlich beschrieb der österreichische Journalist Wolfgang Greber in der honorigen Tageszeitung „Die Presse“, wie er seinen Sohn erzieht, und wurde dabei recht deutlich. Da war viel von Konsequenzen die Rede, noch mehr von Strafe, und sehr detailliert davon, wie die aussehen könnte: nicht gerade die klassische Ohrfeige (denn: ein Schlag ins Gesicht, das ist Wolfgang Greber zu persönlich), aber doch gerne mal ein saftiger Ohrenzieher oder ein paar auf den Allerwertesten. Erziehung, findet Greber, ist nichts für Weicheier. „Das Kind kann schlimm sein und zuwider. Dann gilt es, realistisch zu sein statt ideologisch.“

Ohrenziehen? Geht gar nicht. Weder bei Kindern untereinander und erst recht nicht von Erwachsenen...
Ohrenziehen? Dürfen weder die Kleinen noch die Großen. Und die erst recht nicht…

Gewaltlosigkeit? Ein „infantil-romantischer, militant-pazifistischer Irrglaube“. Gesetze, die in Österreich genau wie in Deutschland das Schlagen von Kindern unter Strafe stellen? Darüber muss sich ein echter Erziehungs-Hardliner eben cool hinwegsetzen. Immerhin: der Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten, einige Tage später behauptete der Journalist, er sei falsch verstanden worden. Wäre es nicht so traurig, man könnte Witze darüber machen: Klar, in meinem Text schneit es dauernd und ist düster und Dezember, aber von Winter steht da kein Wort! Vielleicht noch eine bittere Schlusspointe: Grebers Sohn ist gerade mal drei Jahre alt.

Warum ich das alles erzähle? Obwohl meine eigenen Kinder und die meiner Freundinnen schon lange aus dem Alter heraus sind, in dem sie sich brüllend im Supermarkt auf den Boden werfen? Nun, zum einen natürlich, weil es mir geht wie die allermeisten, die so etwas lesen: Es tut in der Seele weh, dass im Jahr 2014 mitten in Europa in manchen Kreisen noch immer eine Droh- und Drillkultur existiert wie in einer 60er-Jahre-Kaserne. Zum anderen aber auch, weil Menschen wie Wolfgang Greber einen fatalen Denkfehler machen. Nämlich diesen: Der Mensch ist von Geburt an schlecht, setzen wir uns zur Wehr. Das hat Konsequenzen nicht nur im Zusammenleben mit Kindern, sondern auch in der Liebe, im Job und gegenüber unseren globalen Nachbarn. Wer so denkt, zieht dem Dreijährigen die Ohren lang, überzieht später den Geschäftspartner mit Gerichtsprozessen, macht seine Mitarbeiter in großer Runde zur Sau oder trollt in Online-Foren herum und verspritzt verbales Gift.

Dabei ist es genau umgekehrt. Denn natürlich ist der Mensch kein Harmonie-Paket mit rosa Schleife, natürlich gehören Gefühle wie Wut, Ohnmacht, Gier zu seiner Natur, von Anfang an. Das Entscheidende ist jedoch, wie er mit diesen Gefühlen umgeht. Ob Eltern, Großeltern, Erzieher ihm beibringen, wie man Konflikte anders lösen kann als per Machtwort und Einschüchterung. Mit Reden, Verhandeln, und wenn’s nicht anders geht, lieber mal das Zimmer verlassen und auf ein Sofakissen einprügeln als auf einander. Danach wieder reden, versöhnen, Größe zeigen, sich entschuldigen, auch aus der Position des Stärkeren, wenn man doch mal zu weit gegangen ist. Wer das als Kind lernt, wird später nicht automatisch zum neuen Gandhi oder Dalai Lama – aber er hat zumindest eine Chance, das Gute weiterzugeben. An die eigenen Kinder, an den Partner, die Kollegen. Und könnte damit – Achtung, Herr Greber, hier kommt nochmal ihr Lieblingswort! – in letzter Konsequenz sogar dafür sorgen, dass die Welt insgesamt ein friedlicherer Ort wird. Infantil-romantisch? Na, man wird ja wohl noch träumen dürfen. Vor allem zur Weihnachtszeit.

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