Es fing an meinem fünfzigsten Geburtstag an.

Der Fünfzigste war schrecklich.

Ich hatte kurzfristig beschlossen, wieder einmal so richtig mit allen Freunden zu feiern. Wie oft wird man schon Fünfzig!

Verjaardag - 50 - jaar
Es war zwar ein runder Geburtstag, aber rund lief er nicht

Der Frühlingsvollmond kam mir entgegen, Ostern lag so spät wie nie: mein Geburtstag war in diesem Jahr tatsächlich der Karfreitag, am Samstag dann ein gemeinsames Katerfrühstück, abends eine Elbefahrt an den Osterfeuern entlang, und wer am Sonntag noch da war, mit dem wollte ich dann gemeinsam Ostereier suchen. Alles war bestens vorbereitet und organisiert.(Organisieren hatte ich ja gelernt, daran sollte es nicht scheitern.)

Eine knappe Woche vorher fing es an. Ich lag nachts wach. Überlegte. Und fragte mich, was ich eigentlich überlege. War es nicht ein bisschen größenwahnsinnig, dieser Drei-Tage-Marathon? Wollte ich überhaupt feiern? Und war die Auswahl des Menüs allen genehm? Die Zweifel ließen sich nicht völlig beiseite schieben. Das Fest selber war dann einigermaßen katastrophal. Zumindest für mich.

Kaum hatte ich die Gäste begrüßt, da fühlte ich mich wie weggezoomt. Aus ferner Distanz sah ich sie alle ganz klein. Es war alles so unwirklich, so lächerlich. Hatte nichts mit mir zu tun. Ich gehörte nicht hierher. Ich musste sehr an mich halten, nicht einfach loszulachen.

Meine Jugendliebe Simone – Künstlerin, die sich selbst eingeladen hat, mit zweistündiger Verspätung einrauscht, ihren jüngst angeheirateten Gnom im Schlepptau – bemalt Tischdecken mit dickem Filzstift. Meine Mutter findet Simone und ihr Treiben extrem nervig und möchte am liebsten gehen.
Der Gatte der Künstlerin, Soziologie-Professor, „ich bin Arnulf und du hast sie also mal geliebt“, macht alles an, was unter Fünfzig ist, inklusive Servicepersonal. Und nach jeder Abfuhr füttert er ausführlich seinen Frust am Büfett.

Die Journalistin Jessica fragt alle geschickt aus – „Die erfährt von jedem alles“, so mein Teenager-Sohn Torsten, „und von ihr erfährt man nichts.“ – und aufgrund ihres ständigen Verbreitens von Hektik nenne ich sie bald nur noch Stressica.

Ihr bewunderter Gemahl, begnadeter Hobby-Sänger mit Ambition, der als besonderes Geschenk eine gefühlt zweistündige Improvisation inklusive Einführung zum Besten gab – ‚Inhalare la voce.‘ Singen auf das Einatmen! Ich sah die Töne wie schwefelgelbe Seifenblasen in extremer Zeitlupe in seinen Schlund verschwinden.

Mein Neffe Sebastian, der sich als DJ zur Verfügung gestellt hatte und um Elf, seine Freundin eng unterm Arm die andere Hand auf dem Hintern, das Feld räumt, weil er nicht mehr ganz alleine und außerdem rammelig ist – „Die Platten hol ich dann morgen ab.“ Die derzeitige Bettgenossin Jaqueline fragt den ganzen Abend einen nach dem anderen, warum eigentlich die Amerikaner den Euro nach fast zehn Jahren immer noch nicht eingeführt hätten, und der Soziologische bringt ihr vom Buffet ein runde Süßgebäck, gemeinhin bekannt unter dem Namen Amerikaner.

Dazwischen immer Annette, vor Jahren meine Sekretärin, die mich immer fragt, was ich denn habe, die ich ein bisschen zu barsch abweise, bis sich ihrer ganz selbstlos mein Freund Sigmund annimmt, mit dem sie ab dieser Nacht eine halbjährige heftige Liaison verbindet, die kläglich enden wird.

Lichtblick: meine Kinder, die mit Mutters Hilfe ein wunderbares selbstgedichtetes Lied einstudiert haben und dies mit nur Kindern möglicher Begeisterung und Liebe vortrugen. Das holte mich in den Raum zurück.

Auch diese Nacht konnte ich nicht schlafen, okay, war ja auch ein bisschen kurz. Das Katerfrühstück war dann doch seinem Zweck entsprechend ernüchternd, weil von den angekündigten Siebzehn nur noch Sieben erschienen sind. Und nachdem für den Abend und die Flussfahrt noch Zwei ihre Teilnahme avisierten, blies ich das Treffen ab und fuhr mit meiner Liebsten alleine den Fluss hinunter.

Die anschließenden drei Nächte schlief ich wieder nicht. Machte mir Gedanken, wen alles ich jetzt durch dieses Fest vergrault hatte.

Und als ich am Dienstag wieder arbeiten sollte, hatte ich keine Lust, wäre am liebsten im Bett geblieben, jeder Antrieb fehlte, obwohl ich an diesem Tag ein neues Projekt beginnen wollte, auf das ich mich nicht nur gefreut, auf das ich mich auch schon vor Wochen gut und gründlich vorbereitet hatte. War das überhaupt der richtige Job, in dem ich jetzt schon über zwei Jahrzehnte arbeitete? Sollte ich nicht eigentlich etwas ganz anderes beginnen? Und überhaupt, Familie, war es das, was ich wollte? Oder bin ich nicht doch eher ein einsamer Wolf, der ohne Anhang und Verpflichtung, ohne Verantwortung außer für sich selbst über die Steppe schnüren will?

Die Schlafstörungen wurden mein steter Begleiter. Und wenn ich mal endlich eingeschlafen war, wachte ich nach kurzer Zeit schweißgebadet wieder auf. Meistens morgens zwischen Vier und Fünf, und da war an ein Einschlafen nicht mehr zu denken. Auch wenn kein Hypochonder bin, geriet ich langsam in Panik. Rannte endlich zur Hausärztin. Nach ausführlicher Untersuchung beruhigte mich die Ärztin, körperlich alles so weit altersgemäß im Rahmen, ob ich denn Stress hätte? in Beruf? in Familie? Organische Ursachen könne sie jedenfalls nicht diagnostizieren. „Machen Sie sich mal keine Sorgen!“ Das sagte die so leicht. Und ganz vorsichtig führte sie mich darauf hin, dass es auch beim Mann eine Menopause gebe.

Menopause beim Mann. Ha. So ein Unsinn! Das wollte ich nicht hören. Wechseljahre des Mannes, das ist was für die Boulevardpresse, aber nicht für mich!

Eines Abends setzte ich mich zur Konferenz mit mir selber hin und machte einen Plan. Ich musste meine Wohnsituation ändern. Ich wollte mir ein neues Auto zulegen – nein nein, keine Angst, es ging nicht um einen Porsche, es sollte eher ein kleinerer Wagen sein, weil ich ihn meist für mich alleine und für kurze Strecken im Umfeld meiner Arbeit benötigte.

Es dauerte gute zwei Jahre, bis ich mich wieder berappelte. Und bis ich mir eingestehen konnte, dass ich einer der Männer bin, die durchaus unter dem Phänomen Wechseljahre leiden. Gut, ich habe einiges geändert in meinem Leben. Habe mir eine neue Wohnung genommen und bin darin viel zufriedener. Habe mir ein neues Auto gekauft und bin froh, mich mit dem neuen jetzt wesentlich umweltfreundlicher zu bewegen. (Auch wenn Auto und Umweltfreundlichkeit einander eigentlich Hohn sprechen.)

Alles fing an meinem fünfzigsten Geburtstag an. Dachte ich damals. Tatsächlich begann es schleichend schon viele Monate früher, das Bewusstsein des gelebten halben Jahrhunderts ließ die Symptome nur deutlicher zu Tage treten. Und inzwischen, drei Jahre später, ist die Phase vorbei und der Wechsel ist vollzogen und ich glaube wieder an Ziele und konzipiere wieder Projekte. Und wenn ich dann wieder ganz vernünftig bin, rät mir mein Freund Udo, dann sollte ich all die Erfahrungen mal aufschreiben, damit sie vielleicht auch anderen eine kleine solidarische Hilfe sein können. Ist doch vielleicht auch kein verwerfliches Projekt, oder?

In diesem Sinne,

Ihr Jörg

Jörg

Jörg erzählt mit seinem eigenem Humor und viel Esprit über sein Leben mit seiner Frau Stella und den Wechseljahren.

1 Kommentar zu: »Es fing an meinem fünfzigsten Geburtstag an.«

  1. Warum soll es euch besser gehen als uns? Uns fallen die Haare doch auch aus.
    Andropause
    From Wikipedia, the free encyclopedia
    Andropause also known as male menopause,[1] is the result of a gradual drop in testosterone which is an androgen. When men get into their early 30s, they begin losing testosterone at a rate of one to two percent a year. According to the US Census Bureau, approximately 4-5 million men have symptoms of low testosterone levels.

    The condition „andropause“ is currently not recognized by the World Health Organization. When andropause occurs it’s considered to be a deficiency state in which the hormone testosterone goes below the normal range for an aging male.

    Andropause is caused by the reduction of hormones testosterone and dehydroepiandrosterone in middle-aged men. Testosterone assists the male body in building protein and is crucial for normal sexual drive and stamina. Testosterone also contributes to several metabolic functions including bone formation, and liver function. Adropause is also associated with a decrease in Leydig cells.[2] A steady decline in testosterone levels with age (in both men and women) is well documented.[3]

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