Die schönen Tage: Mit 66 Jahren…

…da fängt das Leben an, heißt es in einem altmodischen Schlager. Im aktuellen Kinofilm „Die schönen Tage“ liefert Star-Schauspielerin Fanny Ardant den Beweis

„Im Kino gewesen. Geweint.“, lautet ein berühmter Tagebucheintrag von Franz Kafka. Auch die Zusammenfassung des neuen französischen Kinofilms „Die schönen Tage“ klingt, als sollte man sicherheitshalber ein Päckchen Taschentücher einstecken: Die solide verheiratete Zahnärztin Caroline, Mitte 60, gerät nach dem Tod ihrer besten Freundin und der eigenen Pensionierung in eine tiefe Lebenskrise. Sie stürzt sich in eine Affäre mit einem 30 Jahre jüngeren Kerl, der in einem Freizeit-Zentrum für Senioren einen Computerkurs anleitet. Au weia, dachte ich, das wird Tränen geben. Und sei es nur, wenn die Frau mit ihrem jungen Lover im Bett liegt, ihre angejahrten Oberarme direkt neben seinem knackigen Bizeps. So ein Anblick tut doch weh.

Große Überraschung: nein, tut er nicht. Das liegt natürlich zum großen Teil an der französischen Star-Schauspielerin Fanny Ardant, die auch in fortgeschrittenem Alter noch eine tolle Figur auf der Leinwand macht. Aber das ist nicht alles. Denn auch wenn sie noch immer in jeden Bleistiftrock passt: Diese Frau ist keine 30 mehr, und man sieht es. Am Hals, im Gesicht, im Dekolletee. Trotzdem konnte ich sofort verstehen, was Julien, der coole Berufsjugendliche, an ihr findet. Wie sie schaut, wie sie sich bewegt, die Eleganz, mit der sie barfuß durch die Gischt des Atlantiks stolziert.

Krähenfüße hin oder her – sie hat einfach diese erotische Grandezza, diese Überzeugung, auch weiterhin eine begehrenswerte Frau zu sein. „Bin ich ein wenig betrunken – oder machen Sie mich an?“, fragt Caroline nach dem ersten weinseligen gemeinsamen Mittagessen. Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, der junge Kerl gegenüber könnte sie etwa nicht schön finden, nicht sexy, nicht aufregend.

Wenn es in diesem Film eine Sexbombe gibt, dann ist sie es, nicht er. Nicht nur, weil er mit seinem leichten Doppelkinn-Ansatz und seiner Körperbehaarung aussieht wie ein ganz normaler Mann, mehr Waschbär als Waschbrett. Sondern vor allem, weil sie seiner Unreife, seiner Sprunghaftigkeit etwas entgegenzusetzen hat, das viel erotischer wirkt: Klarheit, Lebensweisheit. Natürlich weiß sie, dass die Affäre mit Julien nichts für die Ewigkeit ist, natürlich weiß sie auch, dass sie ihrem Mann damit verletzt, und genau so weiß sie, dass sie genau diesen Weg gehen muss, um sich wieder lebendig zu fühlen. Nicht vorbildlich, aber trotzdem imponierend.

Als ich aus dem Kino kam, dachte ich mir: Von dieser Haltung kann ich mir schon heute eine Scheibe abschneiden. Obwohl ich 20 Jahre jünger bin. Dass eine Frau sich in ihrem älter werdenden Körper wohlfühlen kann wie in einem maßgeschneiderten Couture-Kleid, und ihn mit dem gleichen Selbstbewusstsein zeigen. Die Selbstverständlichkeit, weiter teilzunehmen: sich große Gefühle zu erlauben, Leidenschaft, Träume. Muss ja nicht gleich die Affäre sein, mit der man alles aufs Spiel setzt. Manchmal reicht vielleicht schon die Spontaneität, sich im Herbst am Strand die Schuhe auszuziehen und barfuß zu laufen, auch wenn’s oben herum schon die dicke Wolljacke sein muss. Zwar wohne ich nicht an der Atlantikküste wie Caroline. Aber Sand zum barfußlaufen, den gibt’s auch an der Elbe.

Und was ist Ihre Meinung? Geht das: Älterwerden und trotzdem das erotische Feuer behalten – oder ist es eigentlich ganz entspannend, wenn toller Sex und ein durchtrainierter Körper nicht mehr so wichtig sind? Schreiben Sie mir!

Ihre Heike

1 Kommentar zu: »Die schönen Tage: Mit 66 Jahren…«

  1. Ist ja tatsächlich ein sehr vielschichtiges Thema. Wie fühlt man sich, wenn man das Äußere zum Maß aller Dinge gemacht hat? Ein Leben lang falschen Glaubenssätze erlegen ist? Wir bestehen aus keinem einzigen festen Teilchen, sind reine Energie, das hat Einstein erkannt: e= mc². Wir bestehen nicht nur aus Falten/keine Falten, sondern aus Energie. Auch wenn man vor nicht allzu langer Zeit doch noch feste Teilchen entdeckt hat: sie machen das Kraut nicht fett. Und wenn wir uns warm und energievoll fühlen, strahlen wir das auch ab. Sex hin und her: er ist bloß das Zelebrieren der Liebe. Die Kunst ist, wie man/frau sich, egal in welchem Alter, Spaß mit sich und Lust auf andere behält. Die Elbe klingt schon ganz gut;)))

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